Nach über 100 Jahren wurde in diesem Jahr im Goethe-Theater Bad Lauchstädt wieder ein Stück eines zeitgenössischen Autors uraufgeführt. VDS-Mitglied und Kammersängerin Prof. Edda Moser beauftragte Rolf Hochhuth († 2020), Szenen aus dem Leben von Katharina von Bora und Martin Luther für die Bühne zu dramatisieren. Die Uraufführung »Neun Nonnen fliehen« fand im ausverkauften Haus am 6. September statt, eine Wiederholung der szenischen Lesung gab es am 8. September. Am 7. September diskutierten im Rahmen einer Matinee Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, der Philosoph Prof. Rüdiger Safranski und der Kulturhistoriker Dr. Manfred Osten im Goethe-Theater über Luther und die deutsche Sprache. Am Nachmittag las Rolf Hochhuth »Frauen am Schafott. Anekdoten und Gedichte zur Geschichte«.
Auch im siebten Jahr versammelte Kammersängerin Edda Moser – die Seele des Festspiels der deutschen Sprache, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann die künstlerische Leiterin des Festspiels in seinem Grußwort nannte – im Goethe-Theater Bad Lauchstädt wieder die Größen der deutschen Schauspielkunst. Ebenso fand sich die Prominenz aus Politik, Kultur und Medien am spätsommerlichen Abend des 6. September zur Welturaufführung »Neun Nonnen fliehen« ein. Das Drama zeigt die Flucht Katharina von Boras aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimbschen bei Grimma nach Wittenberg zu Martin Luther – für Hochhuth „die erste weibliche Revolution in Deutschland.“
Caroline Beil und Dominique Horwitz wurden für die Hauptrollen als Katharina von Bora und Martin Luther verpflichtet. Uwe Bohm überzeugte als Lucas Cranach d. Ä., Anna Thalbach schlüpfte in die Rolle der Dichterin Sophia. Bernhard Schütz verkörperte Leonhard Koppe, den Fuhrunternehmer, Hoflieferanten und Ratsherren in Torgau. Rainer Sellien, Sören Canenbley und Benjamin Krüger gaben drei Burgherren sowie Christian, König von Dänemark, Philipp von Hessen und Pfeiffer, den engsten Mitstreiter von Thomas Müntzer. Hans Stetter führte als Sprecher durch die Handlung.
Hochhuth, der 2001 den ersten gemeinsam vom Verein Deutsche Sprache und der Eberhard-Schöck-Stiftung verliehenen Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache erhielt, spart in seinem Dreiakter nicht mit frech-frivolen Anzüglichkeiten und satirisch-heiteren Anspielungen auf den Zeitgeist. In seinem Bemühen um religiöse Aufklärung hat der Dramatiker – wie nicht anders zu erwarten – streitbare Konflikte verarbeitet und deckt auch im Protestantismus lutherischer Prägung Unzulänglichkeiten auf. Neben Hexenwahn und Antisemitismus wird ein ausgebrannter Luther charakterisiert – der, ohne seine Verdienste in Abrede stellen zu wollen – zuweilen mit seinem Schicksal haderte und sich im Zweifel mit »richtigen oder vernünftigen« Entscheidungen schwertat. Am Ende versöhnt sich der Autor des Stückes mit Luther und billigt ihm seine Großtaten zu – mit seinem Thesenanschlag, seiner Bibelübersetzung und der Reformation: „Damit hat er für ein Menschenleben genug getan“, betonte Hochhuth respektvoll, „denn es gab ja gar keine Sprache, in der er die Bibel übersetzen konnte, er musste die ja erst selber schaffen.“
„Luthers Übersetzung der Bibel orientierte sich am Sinn und nicht am Buchstaben. Das machte sie zu einer einzigartigen sprachschöpferischen und stilistischen Leistung. Dem Volk aufs Maul schauen. Nahe bei den Menschen sein. Ihre Sprache sprechen und ihre Denkweise verstehen. Das waren die Maximen Martin Luthers. Für die deutsche Sprachgeschichte war es ein Glücksfall“, sagte Ministerpräsident Haseloff als Schirmherr des Festspiels der deutschen Sprache. „Zum Durchbruch verhalf ihr der Buchdruck und umgekehrt. Nicht Flüsterpropaganda war für den Erfolg der Reformation entscheidend, sondern die unmittelbare Lektüre lutherischer Texte. Die Reformation war auch eine Lese- und Medienrevolution.“
„Die Reformation, deren 500. Jubiläum wir 2017 begehen, war mehr als ein kirchliches Ereignis. Von ihr gingen entscheidende Anstöße zu humanistischen Zielen wie Freiheit und Selbstbestimmung, Aufklärung und Menschenrechte aus, die nicht nur ausschlaggebend für die deutsche Geschichte, sondern von weltweiter Bedeutung sind“, ergänzte Kulturstaatsminister Neumann und schlug den Bogen in die Gegenwart: „In Zeiten, in denen das Deutsche als Arbeitssprache aus den europäischen Institutionen zu verschwinden droht, in Zeiten, in denen sogar der Duden – ob zu Recht oder Unrecht, das sei dahin gestellt – durch den Verein Deutsche Sprache, in dem auch Edda Moser Mitglied ist, die Negativauszeichnung »Sprachpanscher des Jahres« erhält, in diesen Zeiten ist es gut, die Schönheit unserer Sprache funkeln zu lassen und sie immer wieder neu zu entdecken. Das hat sich das Festspiel der deutschen Sprache auf die Fahnen geschrieben, und dafür steht es Jahr für Jahr.“
Text und Fotos: Jörg Bönisch