Aus der Arbeit des Rechtschreibrats

Eine unaufgeregte Institution in aufgeregten Zeiten

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Solms | Foto: Jörg Bönisch

Im Rahmen der Wittenberger „Redezeit“ berichtete Prof. Dr. Hans Joachim Solms, emeritierter Professor für Geschichte der deutschen Sprache und Literatur an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und in der zurückliegenden Amtsperiode Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung, am 8. Juli in der Wittenberger LEUCOREA aus der Arbeit der „maßgebenden Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung“. Der Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR) wurde 2004 von den deutschsprachigen Ländern und Regionen eingesetzt, um die seit 1996 geführten Diskussionen um die Rechtschreibreform zu einem Abschluss zu bringen. Ihm gehören 41 Mitglieder aus sieben Ländern und Regionen an. Von diesen stammen 18 aus Deutschland, je 9 aus Österreich und der Schweiz und je eines aus dem Fürstentum Liechtenstein, aus der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, von der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sowie aus dem Großherzogtum Luxemburg.

Der RdR beobachtet die Entwicklung des Schreibgebrauchs der deutschen Rechtschreibung und soll mit seinen daraus abgeleiteten Empfehlungen die Einheitlichkeit der Orthografie im deutschen Sprachraum bewahren. Solms betonte, dass der Rat kein allgemein- oder gesellschaftspolitisches Mandat und keine Regelungskompetenz besitzt. Er unterbreitet in Deutschland der Kultusministerkonferenz (KMK) ausschließlich auf wissenschaftlicher Grundlage und entsprechend des beobachteten Sprachwandels Vorschläge. Erst wenn alle politischen Gremien der beteiligten Länder zugestimmt haben, wird die orthografische Norm für den amtlichen Sprachgebrauch in Schulen und Verwaltungen sowie in der Rechtspflege verbindlich.

Der seit seiner Gründung öffentlich kaum wahrgenommene RdR fand durch die seit 2018 aufbrandende Diskussion um eine geschlechter- oder gendergerechte Sprache plötzlich öffentliches Interesse. Seine diesbezüglichen Empfehlungen wurden zum Gegenstand aktueller Berichterstattung und Kommentare in den Medien. „In der gesellschaftspolitisch aufgeheizten und zu einem nicht unerheblichen Teil moralisch aufgeladenen Debatte um eine ‘gendergerechte Sprache’ hat der Rechtschreibrat konsequent aus einer allein fachlichen Perspektive heraus argumentiert. Wir haben uns auf die dem Rat übertragene Aufgabe konzentriert, allein und ausschließlich aus der empirischen Schreibbeobachtung heraus zu möglichen Empfehlungen zu kommen“, erläuterte Solms. Damit hat der RdR ganz zweifellos zu einer Versachlichung der gesellschaftspolitischen Diskussion beigetragen.

Kriterien geschlechtergerechter Schreibung

Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll.

Geschlechtergerechte Texte sollen

  • sachlich korrekt sein,
  • verständlich und lesbar sein,
  • vorlesbar sein (mit Blick auf Blinde und Sehbehinderte, die Altersentwicklung der Bevölkerung und die Tendenz in den Medien, Texte in vorlesbarer Form zur Verfügung zu stellen),
  • Rechtssicherheit und Eindeutigkeit in öffentlicher Verwaltung und Rechtspflege gewährleisten,
  • möglichst automatisiert übertragbar sein in andere Sprachen, vor allem im Hinblick auf deutschsprachige Länder mit mehreren Amts- und Minderheitensprachen (Schweiz, Bozen-Südtirol, Ostbelgien; aber für regionale Amts- und Minderheitensprachen auch Österreich und Deutschland),
  • die Möglichkeit zur Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte und Kerninformationen sicherstellen,
  • das Erlernen der geschriebenen deutschen Sprache nicht erschweren.

ABER: Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie.