Es ist schon erstaunlich, wie sich über Jahrhunderte die inhaltlichen Auseinandersetzungen ähneln: Von Martin Luther (1483–1546) über August Hermann Francke (1663–1727) wird bis heute kontrovers über bildungs- und sprachpolitische Themen diskutiert. Bereits in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts gab Luther dem „christlichen Adel deutscher Nation“ und den „Ratsherrn aller Städte deutschen Landes“ in seinen Schriften wichtige Impulse für eine Reform des Bildungswesens. „Francke, den man in seiner Zeit manches Mal als den Reformator nach der Reformation oder den zweiten Luther bezeichnet hat, griff diese Gedanken auf. Ein wesentlicher Teil seines gesamtreformatorischen Wirkens bestand im Bildungswesen“, erläutert Prof. Helmut Obst, zum Zeitpunkt des Gesprächs Vorsitzender des Kuratoriums der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Francke setzte in seinem 1698 gegründeten Waisenhaus lutherische Thesen um und hat in seinen schnell wachsenden „Glauchaschen Anstalten“ ein dreigliedriges Schulsystem nach dem Vorbild der damaligen Ständegesellschaft aufgebaut. Dabei wurden reformatorische Grundanliegen verwirklicht: Es bestanden nicht die sonst üblichen Standesschranken, sondern für sehr begabte junge Menschen war der Weg bis in die höchste Schulform offen – auch für Schüler, deren Eltern kein Geld hatten.
Im Rahmen seines großen Bildungsprogramms, mit dem Francke eine Verbesserung der Lebensumstände nach christlichen Maßstäben in Deutschland und weit darüber hinaus bewirken wollte, spielten Sprachen eine große Rolle – ganz besonders die deutsche. „Die deutsche Sprache und deren Verwendung bedurften nach Franckes Auffassung einer Reform“, fasst Obst die damalige Situation zusammen. In allen seinen Einrichtungen und Schultypen wurde großer Wert auf die persönliche Handschrift, einen guten Ausdruck und eine einheitliche Rechtschreibung gelegt. So sollten Briefe nach eindeutigen Regeln geschrieben werden. Dazu gehörten eine klare Gliederung, eine geeignete Wortwahl sowie ein prägnanter, sachlicher Stil. Zur Vereinheitlichung der Rechtschreibung erschien 1722 „Eine Anweisung zur Teutschen Orthographie“. Sie wurde in allen Einrichtungen der Schulstadt zum Standardwerk und ging als „Waisenhäuser Orthographie“ in die Sprachgeschichte ein. Über die Cansteinsche Bibelanstalt fanden diese Regeln millionenfach Verbreitung. „Die Franckeschen Stiftungen zu Halle haben für die Pflege der deutschen Sprache, der Schrift und Orthografie im 18. und 19. Jahrhundert einen großen Beitrag geleistet. So hielten es das Kuratorium und das Direktorium für geboten, dass die Stiftungen Mitglied im VDS werden“, begründet Obst.
Weitere Informationen zu den Franckeschen Stiftungen finden Sie unter www.francke-halle.de.
Fotos: Jörg Bönisch