Die 1785 und 1786 in Hanau geborenen Brüder Jacob und Wilhelm Grimm gingen nicht nur als Märchen- und Sagensammler und deren Bewahrer in die Geschichte ein, sondern auch als Begründer der germanischen Sprachwissenschaften. Der erste Band der Kinder- und Hausmärchen, welche in mehr als 160 Sprachen übersetzt wurden und die wohl zu den meistgelesensten deutschen Büchern zählen, erschien 1812. Ihnen zu Ehren wurde 2012 eine von der halleschen Grafikerin Barbara Dimanski gestaltete 55 Cent-Gedenkbriefmarke herausgegeben. Im Jahr 2013 wurde das Leben und Wirken der Grimms in der hessischen Landesausstellung »Expedition Grimm« in Kassel gewürdigt.
„Kassel begreift sich als die heimliche Grimm-Hauptstadt. Die Brüder Grimm haben ihre Kasseler Zeit selbst in besonderer Weise gewürdigt und herausgehoben“, betont Bertram Hilgen, Oberbürgermeister der Stadt Kassel. In der Stadt, in der die Brüder Grimm mehr als 30 Jahre gelebt und gearbeitet haben, wird in der »Grimmwelt Kassel« die Erinnerung an ihr Leben und Wirken wach gehalten. Zu den wertvollen Museumsstücken gehören die Bestände an Handexemplaren und Erstdrucken der Werke der Brüder Grimm. Besonders sehenswert ist ein Handexemplar der Kinder- und Hausmärchen von 1812/1815, welches 2005 von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen wurde.
Die letzte Grimm-Nachfahrin Albertine Plock, die einzige Enkelin von Wilhelm, hat 1902 in Althaldensleben eine Anstellung als Lehrerin erhalten. 1963 vermachte sie Teile ihres Besitzes dem Museum Haldensleben. Es sind wenige Erinnerungsstücke aus dem Familiennachlass wie Hausrat, Bilder, Möbel und etliche Bücher. So konnte dort die einzige Präsentation zu Jacob und Wilhelm Grimm in Ostdeutschland eröffnen. Marburg, Kassel und Göttingen mit eigenen Ausstellungen und als langjährige Wirkungsstätten der Brüder lagen für den DDR-Bürger unerreichbar fern. Nach der Wende ordnete das Museum in Haldensleben seine Ausstellung neu und zeigt heute seine entsprechenden Bestände unter dem Titel „Die Brüder Grimm und ihre Familie“. Es hat sein Konzept für die Grimm-Rezeption bodenständig gestaltet. Man will sich auf Dinge beschränken, die einen Bezug zur Region, zu damals lebenden Menschen haben. Die Nachfahren, die es meist im Schatten ihrer Verwandten schwer haben, spielen eine Rolle. Wilhelms Sohn Hermann (1828-1901) gehört dazu. Als Professor für Neue Kunstgeschichte an der Berliner Universität genoss er einen guten Ruf.
„Immer noch gelten Jacob und Wilhelm Grimm gemeinhin vor allem als die Sammler und Bewahrer deutscher Märchen", bedauert Judith Vater, die Betreuerin der Grimm-Ausstellung. „Ihre Rolle als Wissenschaftler spielt dagegen eher eine Nebenrolle“, sagt sie. Völlig zu Unrecht, denn schließlich begründeten sie die deutsche Philologie und Grammatik, waren Sprach- und Literaturwissenschaftler. Als Belege für diese Bedeutung präsentiert die Museologin zwei dicke Arbeitsexemplare des Deutschen Wörterbuchs von Jacob Grimm. Doch erst 1961 sollte das 1838 von den Grimms begonnene Mammutvorhaben beendet werden. Auf 33 Bände ist das Gesamtwerk in mehr als 120 Jahren angewachsen. Die ersten vier Bücher stammen aus den Federn der 1859 und 1863 verstorbenen Brüder. Jedes deutsche Wort, selbst das „Unanständigste“, wird erläutert, seine Herkunft untersucht. In einem der Handexemplare entdeckte 2005 der neuseeländische Grimm-Experte Alan Kirkness eine handschriftliche Notiz des Verfassers. Dieses unterscheidet sich nicht nur durch einen breiteren Rand für Korrekturen von den üblichen Büchern. Ursprünglich umfasste der erste Band des Deutschen Wörterbuchs alle Begriffe von A bis Biermolke. Doch dieser spezielle ist umfangreicher und geht beim schönen Wort Biermörder weiter um schließlich das gesamte C mit einzuschließen.
Noch etwas verbindet das Lebenswerk der Brüder Grimm indirekt mit Sachsen-Anhalt: Als 1841 der Historiker Georg Waitz in einer Sammelhandschrift aus der Bibliothek des Merseburger Domstifts die Merseburger Zaubersprüche entdeckt, überlässt er deren Bearbeitung den Grimm-Brüdern. Jacob wählte die Merseburger Zaubersprüche 1842 zum Thema seines Antrittsvortrages vor der Berliner Akademie der Wissenschaften. In deren philologisch-historischen Abhandlungen wurden sie im gleichen Jahr erstmals veröffentlicht.
Im Jahr 2000 wurde auf Initiative der Eberhard-Schöck-Stiftung (Baden-Baden) und des Vereins Deutsche Sprache (Dortmund) der Kulturpreis Deutsche Sprache ins Leben gerufen. Er soll dem Erhalt und der kreativen Entwicklung der deutschen Sprache dienen. Der Kulturpreis stellt sich in die Tradition der deutschen Aufklärung und der Brüder Grimm, deren Sprachkritik und Sprachforschung das Deutsche allen Bevölkerungsschichten zugänglich machen wollte. Der Kulturpreis Deutsche Sprache wird jährlich in Kassel vergeben, der Stadt, in der die Brüder Grimm ihre Arbeiten zur deutschen Grammatik und zum deutschen Wörterbuch begannen.
Der Kulturpreis Deutsche Sprache besteht aus drei Teilen: Den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache, den mit 5.000 Euro dotierten Initiativpreis Deutsche Sprache und den undotierten Institutionenpreis Deutsche Sprache.
Text: Klaus-Peter Voigt/Jörg Bönisch | Fotos: Jörg Bönisch (2) | Kulturpreis Deutsche Sprache (1) | © Plakat Landesausstellung Hessen: projekt2508