Der September verdient wohl den Beinamen „Sprache-Gedenk-Monat“. Zahlreiche Veranstaltungen und Gedenktage würdigen im jahreszeitlichen Übergang zum Herbst die deutsche Muttersprache und huldigen ihrer Einzigartigkeit, Schönheit und Ausdruckskraft – oder erinnern daran: Das Festspiel der deutschen Sprache (6. bis 8. September), der Weltalphabetisierungstag (8.September), der Tag der deutschen Sprache (14. September) und der Europäische Tag der Sprachen (26. September).
Den Veranstaltungsreigen eröffnet VDS-Mitglied und Kammersängerin Edda Moser (links im Bild) mit dem Festspiel der deutschen Sprache, welches sie in diesem Jahr zum siebten Mal im Goethe-Theater Bad Lauchstädt leitet. Es erstreckt sich erstmals mit insgesamt vier Veranstaltungen vom 6. bis 8. September über drei Tage. Weiteres Novum: Nach 101 Jahren wird im Goethe-Theater Bad Lauchstädt in diesem Jahr wieder ein Stück eines zeitgenössischen Autors uraufgeführt. Prof. Moser hat den Dramatiker Rolf Hochhuth beauftragt, Szenen aus dem Leben von Katharina von Bora und Martin Luther für die Bühne zu dramatisieren. Die Uraufführung „Neun Nonnen fliehen“ findet am 6. September statt. Eine Wiederholung der szenischen Lesung gibt es am 8. September – dem Weltalphabetisierungstag. Am 7. September diskutieren im Rahmen einer Matinee Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, der Philosoph Prof. Rüdiger Safranski und der Kulturhistoriker Dr. Manfred Osten über „Martin Luther und die deutsche Sprache“. Am Nachmittag liest Hochhuth „Frauen am Schafott. Anekdoten und Gedichte zur Geschichte“.
Dem Weltalphabetisierungstag gilt es, auch hierzulande Aufmerksamkeit zu schenken. Nach Ansicht des sachsen-anhaltischen Kultusministeriums galt Analphabetismus viel zu lange als Phänomen der südlichen Halbkugel, nicht der entwickelten Länder. Doch auch in Deutschland können 7,5 Millionen Menschen, mehr als 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, nicht richtig lesen und schreiben. In Sachsen-Anhalt leben über 200.000 Menschen, die von diesem funktionalen Analphabetismus betroffen sind. Sie können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, jedoch keine zusammenhängenden Texte. Zu den Analphabeten im engeren Sinne gehören über vier Prozent der Bevölkerung. Diese können lediglich einzelne Wörter lesend verstehen und schreiben. Für beide Gruppen ist eine würdige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht möglich. Sie stehen vor der schwierigen Aufgabe, alltägliche Situationen in unserer schriftgeprägten Welt zu meistern. Weiteres Manko: Über 13 Millionen der in Deutschland lebenden Erwachsenen beherrschen die Rechtschreibung nicht, wie sie bis zum Ende der Grundschulzeit unterrichtet wird.
Der Weltalphabetisierungstag wird alljährlich am 8. September begangen und soll den weltweiten Analphabetismus ins öffentliche Bewusstsein rücken. Er wurde von der UNESCO ins Leben gerufen und am 8. September 1966 erstmals begangen.
Seit 2001 findet auf Initiative des gemeinnützigen Vereins Deutsche Sprache e. V. (VDS) jeweils am zweiten Sonnabend im September der Tag der deutschen Sprache statt. Mitglieder des VDS sowie Sprachfreunde in Deutschland und in aller Welt weisen an diesem Tag auf guten und vorbildlichen Gebrauch der deutschen Sprache hin und kritisieren Fehlleistungen. Sie zeigen, dass die deutsche Sprache lebendig und vielfältig verwendbar ist und informieren über den VDS als Sprach- und Kulturverein.
So ist die VDS-Regionalgruppe Sachsen-Anhalt in diesem Jahr wieder mit einem Informationsstand am 15. September in Halle (Saale) beim 4. Fontänefest auf der Ziegelwiese dabei. Thematischer Schwerpunkt ist in diesem Jahr „Deutsch und seine Varianten“. Dabei werden der Hoch- oder Standardsprache andere Varianten der deutschen Sprache gegenüberstellt, beispielsweise die deutschen Dialekte, die Jugendsprache oder Kiezdeutsch, das Deutsch bestimmter Berufsgruppen (z. B. Behördendeutsch, Werbesprache) oder sprachliche Kurzformen in den Neuen Medien.
Die Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt e. V. (NFG) veranstaltet am 14. September ihre „Festveranstaltung am Tag der deutschen Sprache“. Nachmittags werden im Veranstaltungszentrum Schloss Köthen die Preisträger des Schüler-Schreibwettbewerbs „Schöne deutsche Sprache“ ausgezeichnet, den die NFG gemeinsam mit der Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache auslobt. Abends hält hier der Theologe und Publizist Friedrich Schorlemmer die „Rede zur deutschen Sprache“.
Ziel des vom Europarat 2001 erstmals ausgerufenen Aktionstages ist es, zur Wertschätzung aller Sprachen und Kulturen beizutragen. So sollen die Mehrsprachigkeit gefördert und das reiche Erbe der europäischen Sprachen bewahrt werden. Denn die Europäische Union ist kein Bundesstaat, sondern die Gemeinschaft von 28 souveränen Staaten. In 17 europäischen Ländern haben eine oder mehrere Muttersprachen selbstverständlichen Verfassungsrang. Auch der VDS erhebt die Forderung, das Grundgesetz der Bundesrepublik um einen entsprechenden Passus zu ergänzen. Denn die Sprache ist das kostbarste Kulturgut, das Medium des Zusammenhalts einer Nation, prägendes Merkmal ihrer kulturellen Identität und Voraussetzung für die demokratische Teilhabe. Identität. So wird es auch im Schlussbericht der Enquetekommission zur Kultur in Deutschland beschrieben (Bundestagsdrucksache 16/7000, Kapitel 6.5: Erhalt und Förderung der deutschen Sprache): „Mit Sprache treten Menschen in eine Form des kommunikativen Austausches miteinander, wird die demokratische Willensbildung organisiert und artikuliert. Sich in der eigenen Sprache verständigen zu können, ist essenzielle Voraussetzung für die Wahrnehmung zahlreicher Grundrechte, vor allem des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit.“
Der 26. September ist den europäischen Sprachen gewidmet. Die Europäische Union ist reich an Sprachen: Neben ihren 23 Amtssprachen zählt sie mehr als 60 Sprachgemeinschaften, in denen eine Regional- oder Minderheitensprache gesprochen wird, die es zu erhalten gilt.
Text und Foto: Jörg Bönisch